Haftpflichtrecht
Kürzung der Versicherungsleistungen auf null auch bei grober Fahrlässigkeit des VN
9.5.2012
BGH, Urteil vom 11.1.2012 — Aktenzeichen: IV ZR 251/10
Leitsatz
Der Versicherer kann bei grob fahrlässiger Verletzung einer vertraglichen Obliegenheit durch den VN in Ausnahmefällen die Leistung vollständig versagen (hier: Kürzung auf null bei absoluter Fahruntüchtigkeit). Dazu bedarf es der Abwägung der Umstände des Einzelfalls (Fortführung von Senatsurteil vom 22.05.2011 — IV ZR 225/10).
Sachverhalt
Der klagende Kfz-Haftpflichtversicherer nimmt seinen VN wegen grob
fahrlässiger Obliegenheitsverletzung in Höhe von 100 % seiner
Aufwendungen in Regress, nachdem er den anlässlich einer
Trunkenheitsfahrt des VN im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit
entstandenen Schaden reguliert hatte.
Der in Anspruch genommene VN verursachte Mitte 2009 mit einer BAK
von 2,1 Promille einen Verkehrsunfall mit Drittschäden.
Die Klägerin verlangt Erstattung des von ihr ersetzten
Gesamtschadens in voller Höhe. Hierzu gehören auch 702,04 Euro
Kosten des vom Geschädigten Dritten beauftragten Gutachters.
Der Beklagte ist u.a. der Ansicht, mit Hinblick auf § 28 II VVG sei
eine Leistungskürzung auf null ausgeschlossen. Ferner sei die
Bestimmung D.3.1. AKB 2008 intransparent und demzufolge gemäß § 307
I BGB unwirksam. Schließlich müsse er für die
Sachverständigenkosten nicht aufkommen.
Unter D.3.1. AKB 2008 ist geregelt: „Verletzen Sie vorsätzlich eine
Ihrer in D.1 und D.2 geregelten Pflichten, haben Sie keinen
Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig,
sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere des
Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen…“
Entscheidung
Die Revision hatte keinen Erfolg. Der 4. Zivilsenat des BGH
bestätigte das Urteil des Berufungsgerichts (BG), welches eine
Regresspflicht des Beklagten in voller Höhe angenommen hatte.
Mit Urteil vom 22.06.2011 hatte der Senat bereits festgestellt,
dass der Wortlaut des § 81 II VVG eine Leistungskürzung in
Ausnahmefällen nicht ausschließt. Die in § 81 II VVG geregelte
Rechtsfolge, wonach der Versicherer berechtigt ist, „seine Leistung
in einem der Schwere des Verschuldens des VN entsprechenden
Verhältnis zu kürzen“, stehe einer vollständigen Versagung der
Leistung in Ausnahmefällen nicht entgegen. Es bedürfe hierbei stets
einer Einzelfallauslegung. Weder würde der Wortlaut der Norm noch
deren gesetzlicher Zweck (Abschaffung des
„Alles-oder-Nichts-Prinzips") eine Leistungskürzung auf null
ausschließen. Insbesondere gelte dies in Fällen, in denen sich der
Schweregrad der groben Fahrlässigkeit dem Vorsatz annähert.
Der Senat hat nunmehr entschieden, dass diese Grundsätze ebenso auf
die Regelung des hier streitentscheidenden § 28 II VVG zutreffen.
Sowohl die Entstehungsgeschichte als auch der (o.g.) Gesetzeszweck
seien bei beiden Normen identisch.
Auch der Einwand des Beklagten, die vertragliche Regelung in D.3.1.
AKB 2008 sei wegen fehlender Transparenz gemäß § 307 I BGB
unwirksam, greife nicht durch. Ein durchschnittlicher VN könne dem
Wortlaut entnehmen, dass eine Leistungskürzung auf null in Fällen
grober Fahlässigkeit nicht ausgeschlossen ist. Ferner sei
ersichtlich, dass gerade nicht gewollt sei, dass ein voller
Leistungsausschluss nur bei Vorsatz möglich sei und dass bei grober
Fahrlässigkeit stets eine Restquote verbleiben müsse.
Das BG sei im vorliegenden Fall beanstandungsfrei zu einer
Leistungskürzung auf null gelangt, da die für eine absolute
Fahruntüchtigkeit maßgebliche Grenze von 1,3 Promille deutlich
übeschritten worden und ein solcher Verstoß zu den schwersten
Verkehrsverstößen überhaupt zähle. Weiter habe der Umstand, dass
die alkoholbedingten Ausfallerscheinungen des VN alleinige
Schadensursache gewesen seien und er keinerlei entlastende Momente
vorgetragen habe, vom BG in der Entscheidungsfindung richtig
berücksichtigt worden.
Auch die Kosten eines Sachverständigengutachtens, welches der
Geschädigte zur genauen Feststellung seiner Schäden in Auftrag
gegeben hatte, könnten regressiert werden. Diese seien mit dem
Schaden unmittelbar verbunden und gehörten gemäß § 249 I BGB zu den
auszugleichenden Vermögensnachteilen.
Fazit:
Es wird deutlich, dass der BGH es nicht nur in Fällen absoluter
Fahruntüchtigkeit, sondern stets bei grob fahrlässiger
Obliegenheitsverletzung des VN im Einzelfall für zulässig erachtet,
dass der Versicherer seine Leistung auf null reduziert.
Damit ist diese seit der Neufassung des VVG virulente Problematik
im Rahmen der §§ 28 und 81 VVG nunmehr endgültig höchstrichterlich
entschieden.