Regress des Sozialversicherungsträgers
Für den Verjährungsbeginn der Ansprüche aus §§ 116, 119 SGB X ist ausschließlich auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Regressabteilung abzustellen
RA Stefan Möhlenkamp
24.5.2012
BGH, Urteil vom 17.4.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 108/11
Leitsatz
Im Deliktsrecht ist für den Beginn der Verjährungsfrist bei den Ansprüchen der Sozialversicherungsträger auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der Mitarbeiter der für den Regress zuständigen Organisationseinheit abzustellen.
Eine dem Sozialversicherungsträger zuzurechnende grob fahrlässige Unkenntnis kann vorliegen, wenn die für den Regress zuständige Organisationseinheit ohne weiteres hätte erkennen können, dass ein Regress veranlasst sein kann. Sie kommt ferner in Betracht, wenn diese Organisationseinheit nicht in geeigneter Weise behördenintern sicherstellt, dass sie frühzeitig von Umständen Kenntnis erhält, die einen Regress begründen können.
Bei der Frage, ob eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis im vorgenannten Sinn gegeben ist, sind die Grundsätze der sekundären Darlegungslast anwendbar.
Sachverhalt
Bei einem Unfall vom 23.10.1987 wurde der Versicherte des klagenden
Sozialversicherungsträgers verletzt. Mitte 1997 wurde dessen
Leistungsabteilung aufgrund eines Antrags auf Bewilligung einer
Erwerbsunfähigkeitsrente mit dem Unfall befasst. Einen weiteren
(Arbeits-)Unfall hatte der Versicherte 1994 erlitten. Nur
hinsichtlich dieses Unfalls erfolgte eine Abgabe an das für den
Regress zuständige Rechtsreferat der Klägerin. In späteren
Leistungsanträgen wurde auf beide Unfälle hingewiesen. Auch im
nachfolgenden Rentenverfahren erfolgten Hinweise auf die
vorangegangenen Unfälle. Das Rechtsreferat der Klägerin wurde über
den Unfall vom Jahre 1987 jedoch erst im Februar 2009 informiert,
obgleich die Klägerin seit 1984 Büroverfügungen erlassen hatte,
nach denen die Unterlagen dem Rechtsreferat zuzuleiten seien, wenn
sich aus einem Rentenantrag, Gutachten oder anderen Vorgängen
ergebe, dass ein Regress möglich sei.
Das Landgericht hat die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Die
dagegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Entscheidung
Das Berufungsgericht hat sich zunächst auf die Seite der Beklagten
gestellt und Verjährung der Regressansprüche mit Ende des Jahres
2008 angenommen. Zur Begründung führte es aus, der in § 199 Abs. 1
Nr. 2 BGB neu aufgenommene Verjährungsbeginn bei grob fahrlässiger
Unkenntnis sei allgemein zu verstehen, so dass sich ein
Sozialversicherungsträger nunmehr auch grob fahrlässige Unkenntnis
seiner Leistungsabteilung zurechenen lassen müsse. Diesem Ansatz
ist der BGH nicht gefolgt. Auch im Lichte des neuen
Verjährungsrechts sei für den Verjährungsbeginn regressrechtlicher
Ansprüche weiterhin allein auf die Kenntnis oder Unkenntnis der
Regressabteilung abzustellen. Nur insoweit sei eine
Wissenszurechnung gerechtfertigt, da Behörden ansonsten schlechter
gestellt würden, als andere Gläubiger. Sind in einer
regressbefugten Behörde somit mehrere Stellen für die Bearbeitung
eines Schadensfalls zuständig, kommt es für den Beginn der
Verjährung von Regressansprüchen grundsätzlich auf den
Kenntnisstand der Bediensteten der Regressabteilung an. Das Wissen
der Bediensteten der Leistungsabteilung ist demgegenüber
unmaßgeblich und zwar nach dieser Entscheidung selbst dann, wenn
die Mitarbeiter dieser Abteilung aufgrund einer behördeninternen
Anordnung gehalten sind, die Schadensakte an die Regressabteilung
weiterzuleiten, sofern sich im Zuge der Sachbearbeitung
Anhaltspunkte für eine Regressmöglichkeit ergeben. Allerdings hat
der BGH auf der anderen Seite die strengen Anforderungen an die
Sachbearbeitung und Informationsgewinnung in Regressabteilungen
hervorgehoben und die Sache deshalb mit Hinweisen auf eine
möglicherweise grob fahrlässige Unkenntnis der konkret zuständigen
Regressabteilung ans Berufungsgericht zurückverwiesen.
Regressabteilungen haben ihnen zugegangene Vorgänge der
Leistungsabteilung sorgfältig darauf zu prüfen, ob sie Anlass
geben, Regressansprüche gegen einen Schädiger zu verfolgen. Es sei
ferner Sache der Regressabteilung, behördenintern in geeigneter
Weise sicher zu stellen, dass sie frühzeitig von Schadensfällen
Kenntnis erlangt, die einen Regress begründen könnten. Als grob
fahrlässige Unkenntnis könnte nach Ansicht des BGH etwa zu werten
sein, dass die Mitarbeiter der Regressabteilung des
Sozialversicherungsträgers hier erkennen mussten, dass
Organisationsanweisungen notwendig waren oder vorhandene
Organisationsanweisungen von den Mitarbeitern der
Leistungsabteilung nicht beachtet wurden und es deswegen zu
verzögerten Zuleitungen von Vorgängen kam.
Der BGH bestätigt somit zwar seine ständige Rechtsprechung zur
Maßgeblichkeit der Kenntnis/Unkenntnis der Regressabteilung.
Darüber hinaus steckt er den Rahmen, in dem sich die entsprechenden
Organisationseinheiten Kenntnisse verschaffen müssen, gleichzeitig
jedoch sehr weit ab.