Regress des Sozialversicherungsträgers
Kongruenz i.R.d. §§ 116, 119 SGB X — ALG II?
RA Stefan Möhlenkamp
19.7.2012
OLG Jena, Urteil vom 28.2.2012 — Aktenzeichen: 4 U 527/11 (nicht rechtskräftig)
Leitsatz
Das Arbeitslosengeld II ist bedarfsorientiert und hat somit keine Lohnersatzfunktion. Der unfallbedingte Verlust stellt mithin keinen Erwerbsschaden im Sinne des § 842 BGB dar.
Sachverhalt
Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Rentenversicherung. Als
solche klagt sie aus übergegangenem Recht gemäß §§ 116, 119 SGB X
gegen den voll eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherer
unfallbedingte Rentenleistungen und entgangene Rentenbeiträge ein,
die sie für ihre bei einem Verkehrsunfall im Jahr 2007 verletzte
Versicherte erbracht hat. Die Versicherte war (seit 1992)
Langzeitarbeitslose und bezog bis Ende 2004 Arbeitslosenhilfe und
ab 2005 bis Ende November 2010 Arbeitslosengeld II, was ihr für die
anschließende Zeit wegen des Unfalls nicht mehr gewährt
wurde.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und die Übergangsfähigkeit
der geltend gemachten Ansprüche hinsichtlich der
streitgegenständlich erbrachten Rentenleistungen und des
Beitragsregresses verneint.
Entscheidung
Auch das OLG hat die für den Anspruchsübergang gem. §§ 116, 119 SGB
X erforderliche sachliche und zeitliche Kongruenz zwischen dem
unfallbedingt weggefallenen ALG II als Schaden und etwaigen
Ersatzleistungen der Klägerin verneint. Mit Inkrafttreten des SGB
II sei das Arbeitslosengeld II an die Stelle von Arbeitslosenhilfe
und Sozialhilfe getreten. Die Arbeitslosenhilfe war eine
Entgeltersatzleistung, die sich der Höhe nach auf die zuletzt
ausgeübte Beschäftigung bezog (Lohnausfallprinzip). Vorausgesetzt
war, dass der Leistungsempfänger vor dem Bezug von
Arbeitslosenhilfe eine beitragspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt
habe. Nach Ansicht des OLG sei demgegenüber das Arbeitslosengeld II
aber nur bedarfsorientiert. Es orientiere sich am individuell zu
ermittelten Bedarf des Leistungsempfängers (Bedürftigkeitsprinzip).
Die Ausübung einer beitragspflichtigen Erwerbstätigkeit sei deshalb
nicht erforderlich. Es genüge, dass der Leistungsempfänger
erwerbsfähig sei. Damit sei ein (vom Gesetzgeber gewollter)
Systemwechsel verbunden, der im Ergebnis bedeutet, dass dem
Arbeitslosengeld II eine Lohnersatzfunktion abgesprochen werden
müsse.
Im Rahmen seiner Begründung setzt sich das OLG expliziet mit der
Entscheidung des des BGH vom 08.04.2008 – VI ZR 49/07 (NJW 2008,
2185 f.) auseinander, in welcher der BGH einen (übergangsfähigen)
Erwerbsschaden in dem teilweisen Ausgleich für entgangenen
Arbeitsverdienst durch die Leistungsfortzahlung gemäß § 126 Abs. 1
Satz 1 SGB III gesehen hat. Da beim ALG II die vom BGH zur
Begründung seiner, die Kongruenz bejahenden Entscheidung
herangezogene Lohnersatzfunktion jedoch gerade fehle, könnten im
Umkehrschluss für einen unfallbedingten Wegfall des ALG II
erbrachte Rentenleistungen auch keinen übergangsfähigen
Erwerbsschaden im Sinne von § 842 BGB darstellen.
Es ist zu erwarten, dass sich demnächst erneut der BGH mit dieser
praxisrelevanten Frage befassen wird.